
14 july 2001 @ berlin.de 5 jahre hateparade
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Der Polizeipräsident in Berlin Berlin, den 14.05.2001 Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Bock, wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir die Anmeldung Ihres Mandanten Herrn Martin Kliehm, Frankfurt am Main, vom 19. März 2001 für die von ihm geplante "Fuckparade 2001" nicht als Anmeldung einer Versammlung nach § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) in der Fassung vom 15. November 1978 (Bundesgesetzblatt I-BGBl. I S. 1970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), entgegennehmen und bestätigen können. Begründung:Die von Ihrem Mandanten angemeldete Versammlung ist keine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel im Sinne des § 14 VersG. Der Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes ist demnach nicht eröffnet und die Versammlungsbehörde ist nicht zuständig. Die "Fuckparade" soll nach den Angaben Ihres Mandanten durch drei "Demonstrationszüge" auf drei verschiedenen Routen in Form eines Sternmarsches zum Alexanderplatz führen. Es werden ca. 10.000 Teilnehmer erwartet. Das Anliegen ist dabei - ähnlich wie bei der Love Parade - die Teilnehmer mit Aufzugswagen zu begleiten, von denen lautstark Techno-Musik gespielt wird. Dabei sollen 45 Discjockeys aus aller Welt in verschiedenen Musikrichtungen (Styles) wie Breakcore, Speedcore, Brutalcore, Hardcore, House, Techno Acid u.a. tätig werden. Im Gegensatz zur Love Parade soll keine Kommerzialisierung durch Werbeträger u.ä. erfolgen. Als Themen der Veranstaltung gibt Ihr Mandant an: Diese Themen sollen durch das Verteilen von Handzetteln im Vorfeld der Parade sowie durch Spruchbänder an den Wagen den Teilnehmern nahe gebracht werden. Im übrigen würde nur Musik gespielt werden. Ihr Mandant gibt an, nicht Politiker sondern Diskjockey zu sein; deshalb benutze er zur Kommunikation eben nicht die Sprache sondern das Medium Musik. Wenn eine Vielzahl der Teilnehmer die Botschaften nicht verstünden und nur tanzen wollen, so könne dies ihm nicht zum Nachteil gereichen. Richtig ist zunächst, daß die Versammlungsfreiheit "vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen umfaßt" (vgl. BverfGE 69, 315, 342 f.). Damit ist auch die musikalische Ausdrucksform nicht von vornherein ausgeschlossen. Darüber hinaus setzt eine Versammlung aber als gemeinsamen Zweck die kollektive Meinungsbildung und -kundgabe zu öffentlichen (enger Versammlungsbegriff) oder auch privaten Angelegenheiten (erweiterter Versammlungsbegriff) voraus. Dieser Versammlungsbegriff entspricht der verwaltungsrichterlichen Praxis, insbesondere der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG 56, 63, (69) und auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtes Berlin (vgl. Urteil v. 13. November 1985 - VG 1 A 383.84 - S. 9). Eine noch weitere Auslegung in dem Sinne, dass jede gewisse wie auch immer geartete innere Verbindung zwischen den Teilnehmern ausreicht, widerspricht der systematischen Stellung des Art. 8 GG, der historischen Entwicklung und Bedeutung der Versammlungsfreiheit sowie dem überragenden Wert der diesem Grundrecht durch das Bundesverfassungsgericht beigemessen wurde (vgl. BverfGE 69, 315, 345f. - "der Einzelne kann sich am Willensbildungsprozeß im demokratischen Gemeinwesen neben der Mitarbeit in Parteien und Verbänden nur durch kollektive Versammlungen beteiligen - die zu schützen ist Aufgabe des Art. 8 GG"). Eine Teilnahme am kollektiven Meinungs- und Willensbildungsprozeß kann bei der Parade Ihres Mandanten nicht erblickt werden. Dabei kommt es nicht auf die vorherige Verteilung von Handzetteln oder die Spruchbänder an den Trucks an. Diese geben - ebenso wie das Motto - der Veranstaltung nicht das entscheidende Gepräge. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung sondern der sich abzeichnende tatsächliche Charakter (vgl. auch Deger NJW 1997, 923, 924). Tatsächlich ist die Rolle der Teilnehmer aber auf das Zuhören und Tanzen bei der musikalischen Darstellung beschränkt. Dies genügt nicht für die kollektive Meinungsbildung und -kundgabe. Auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin macht allein der politische Inhalt einer musikalischen Darbietung die Zuschauer und Zuhörer nicht zu Teilnehmern einer Versammlung, wenn sie sich auf das Erleben der Darbietung beschränken (vgl. VG Berlin aaO.) Die bei der Veranstaltung gespielte Musik hat keinen politischen oder anderen Inhalt. Die angesagten 45 Discjockeys sollen zahlreiche unterschiedliche Musikrichtungen spielen. Das Motto, zu dem die Musik gespielt wird, ist beliebig austauschbar. Beim Zuhörer wird kein Bezug zu bestimmten Themen geschaffen. Es handelt sich um einen Musikmix wie er in Techno-Discotheken überall in der Welt gespielt wird. Deshalb kann in dem Tanzen der Teilnehmer auch keine sichtbare Identifizierung mit bestimmten Themen gesehen werden. Zudem kann nicht abgestritten werden, daß der Spaßcharakter der Veranstaltung für die Teilnehmer derart überwiegt, daß jedes ernsthafte Anliegen völlig in den Hintergrund tritt. Damit ist die Veranstaltung mit einem modernen Volksfest im Sinne des § 17 VersG vergleichbar. Es ist den Versammlungsteilnehmern natürlich nicht versagt, bei der Versammlung auch Spaß zu haben. Es darf den Teilnehmern aber nicht nur um vergnügliches Tanzen und Feiern in Gruppenform gehen. Selbst unter Anwendung des weiten Versammlungsbegriffes läge keine Versammlung vor. Eine gewisse innere Verbindung der Teilnehmer ist nicht erkennbar. Durch die insoweit neutrale Musik kann diese nicht erreicht werden. Die Absicht der gemeinsamen Feier durch Tanzen gibt keine konkrete Bindung zwischen den Teilnehmern wieder. Wie auch sonst in der Discothek nimmt jeder Teilnehmer die Musik in sich auf und zeigt dazu eigene Tanzbewegungen. Darin kann aber keine innere Verbindung zu anderen Tänzern gesehen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Veranstaltung Ihres Mandanten bzw. die Love Parade in den letzten Jahren unter Versammlungsrecht durchgeführt wurden. Die Bestimmung des Versammlungscharakters ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierig. Um Art. 8 GG zu voller Geltung zu verhelfen, geht die Versammlungsbehörde im Zweifel vom Vorliegen einer Versammlung aus. Dies gilt umso mehr, als sie eine ex-ante-Beurteilung vornehmen muß. In dieser Situation muß es der Behörde aber auch möglich sein, ihre Auffassung über den Versammlungscharakter einer bestimmten Versammlung zu ändern. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß künftig auch der Versammlungscharakter der Love Parade nicht anerkannt wird. Wir möchten Sie abschließend darauf hinweisen, daß Sie zur Verwirklichung Ihres Anliegens eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde beantragen können. Die Erfoderlichkeit einer straßen- bzw. straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung bedeutet nicht, daß die von Ihrem Mandanten geplante Veranstaltung ausfallen muß. Auch andere Veranstaltungen mit ähnlichem Charakter konnten mit den jeweiligen Bezirksämtern einvernehmliche Lösungen zur Zufriedenheit beider Seiten finden. Rechtbehelfbelehrung:Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Er ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift bei dem Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, unter Angabe des Geschäftszeichens zu erheben. Es wird darauf hingewiesen, daß bei schriftlicher Einlegung des Widerspruchs die Widerspruchsfrist nur dann gewährt ist, wenn der Widerspruch innerhalb dieser Frist eingegangen ist. Anordnung der sofortigen Vollziehung:Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung vom 19.03.1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl. 1 S. 1626) wird die sofortige Vollziehung des vorstehenden Bescheides angeordnet. Wegen der begründeten unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann der Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites nicht abgewartet werden. Sie sind somit verpflichtet, auch dann die Auflagen einzuhalten, wenn Sie von dem vorgenannten Rechtsbehelf Gebrauch machen. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht Berlin auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Mit freundlichen Grüßen |