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Der Polizeipräsident in Berlin
Landeskriminalamt
Referat Ordnungsbehördlicher Staatsschutz
Berlin, den 21.06.2001
Geschäftszeichen St 4 - 03920/1631
In der Verwaltungsstreitsache
Martin Kliehm ./. Land Berlin
VG 1 A 166.01
Verwaltungsgericht Berlin, 1. Kammer
Gegen Empfangsbekenntnis
wird beantragt, den Antrag vom 22. Mai 2001, den Antraggegner zu verpflichten, die unter dem 19. März 2001 angemeldete Veranstaltung "Fuckparade/ Hateparade" nach dem Versammlungsgesetz zu behandeln, hilfsweise die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 21. Mai 2001 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Mai 2001 wiederherzustellen,
zurückzuweisen.
Begründung:
Es wird zunächst auf den angefochtenen Bescheid sowie den beigefügten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Streitentscheidend ist allein, ob die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung i.S.v. Art. 8 Abs. 1 GG ist.
Der angefochtene Bescheid verneint dies mit zutreffender Begründung, da es an einer kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe fehlt.
Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG gehört zu den wesentlichen Funktionselementen eines demokratischen Allgemeinwesens. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für die freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend ist (BverfGE 69, 315, 344). Erst sie ermöglicht "...die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform" (BVerfG NJW 85, 2395, 2396). Im Gesamtsystem der Verfassungsgüter stellt dieses Grundrecht damit das erforderliche Gegengewicht zur pluralistischen Entscheidungsfindung dar, da nur so auch Minderheiten die Möglichkeit haben, ihre Auffassung öffentlich kundzutun und in das Gemeinwesen einzuführen.
Nur diese Schlüsselfunktion innerhalb der Wechselwirkungen des demokratischen Rechtssystems erklärt, weshalb das Versammlungsrecht über den Schutz der ungehinderten Persönlichkeitsentfaltung hinaus geht (BVerfG NJW 85, 2395 (2396); OVG Thüringen, Thür VG Rspr 98, 16 ff; Deger NJW 97, 923, 924) und es gegenüber anderen Formen der Freiheitsentfaltung previligiert ist (Deger, aaO; Dietlein, NVwZ 92, 1066; Hoffmann/Riem, in Wassermann, Alternativkommentar zum GG, 1989, Rnr 12 zu Art. 8; Stein, Staatsrecht, 16. Auflage 1998 § 38 II 1 a).
Grund für diese Previlegierung ist die besondere Schutzbedürftigkeit der Meinungskundgabe. Erst durch sie kann die Versammlungsfreiheit die o.g. Aufgabe erfüllen, vorrangig durch sie unterscheidet sich Art. 8 Abs. 1 GG von den anderen Freiheitsrechten.
Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG müssen somit wegen ihres gemeinsamen bzw. sich ergänzenden Schutzzwecks als Komplementärnormen gesehen werden (BVerfG NJW 91 2694; Hesse, Staats- und Verfassungsrecht, § 12 Rnr 405; Hoffmann, BayVBI 87, 97, 105).
Eine Veranstaltung ist also dann als Versammlung anzusehen, wenn eine solche (kollektive) Meinungsbildung und -kundgabe objektiv vorliegt. Nur so können Konkurrenzen mit anderen Grundrechten vermieden (Bertuleit/Steinmeyer, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeyer, Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rnr 13) und Versammlungen hinreichend zuverlässig von sonstigen Veranstaltungen unterschieden werden (VG Düsseldorf, NVwZ - RR 92, 185; OVG Münster, NVwZ - RR 92, 360). Die andernfalls zu besorgende konturenlose Ausdehnung des Versammlungsbegriffs (Hofmann-Riem, aaO, Rnr 12 zu Art. 8) ist schon durch das Versammlungsgesetz selbst (vgl. § 17) nicht vorgesehen und aufgrund der Existenz anderer, speziellerer Rechtsmaterien nicht erforderlich (Ott, in Ott/Wachter, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 6. Auflage 1996, § 1 Rnr 8; Deger, aaO, 924). Sie würde zudem Art. 8 Abs. 1 GG aus seinem Zusammenhang reißen und damit gewissermaßen als "Grundrecht für alle Fälle" schwächen (Ott aaO; Hofmann aaO, S. 105).
Die angemeldet Veranstaltung erfüllt die aufgezeigten unverzichtbaren Kriterien nicht.
Bescheid und Verwaltungsvorgang belegen, dass die Fuckparade/ Hateparade nach Selbstverständnis, Entstehungsgeschichte und Erscheinungsbild nichts anderes als ein musikalisches Spektakulum ist, dessen Teilnehmer sich nach ihren Vorstellungen zu ihrer Musik ausleben.
Sie entwickelte sich als Gegenereignis zur Love-Parade (vgl. Art. des Gunnar Luetzow vom 6. Juli 2000 in Spiegel Online 2001). Unter dem Motto "Weg vom Mainstream" der offenbar zu bürgerlich und etabliert werdenden Love-Parade - die im Übrigen ebenfalls keine Versammlung ist - wollte eine andere Szene ihre Techno-Richtung ebenfalls feiern.
Der jeweilige Verlauf und die der Love-Parade ebenfalls ähnliche äußere Erscheinung, insbesondere die Fülle der Wagen und die Art der Darbietungen belegen, dass Meinungsbildung und Kundgabe überhaupt nicht im Vordergrund der Veranstaltung stehen, sofern sie überhaupt gewollt sind. Damit ist die versammlungsrechtliche Problematik mit der der Love-Parade nahezu identisch.
Der "Fleyer 2000", mit dem für die gleichartige Veranstaltung des Vorjahres geworben wird, hat folgende Textpassage:
"Auf der Fuckparade begegnen sich Menschen, denen es wichtiger ist gemeinsam zu feiern, kreativ zu sein, sich nicht auf Regeln und Normen zu berufen ... die sich nicht diktieren lassen wollen, wann, wo und zu welchem Preis sie ihre Party feiern dürfen oder zu welchem Sound..."
Dies zeigt, dass es dem Veranstalter und den übrigen Beteiligten lediglich auf ein Fest, nicht aber eine Versammlung ankommt. Dementsprechend ging er auch in seinem Schreiben an den Antragsgegner vom 2. Juni 2000 von einer "Party" und von Örtlichkeiten aus, die hinreichend "Tanzgelegenheiten" boten. Diese Intention kann auch auf die aktuelle Veranstaltung übertragen werden.
Eine derart unterhaltende Veranstaltung erfüllt nicht die dargelegten Voraussetzungen einer Versammlung i.S.v. Art. 8 Abs. 1 GG (siehe auch VG Berlin VG 1 A 191.99; Deutelmoser, NVwZ 99, 240, 242). Es fehlt an einer objektiv nachvollziehbaren kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe (VG Berlin VG 1 A 335.00; Deger, NJw 97, 923 ff).
Mit dem hohen Stellenwert und der zentralen Aufgabe, die die Versammlungsfreiheit innerhalb eines demokratischen Rechtssystems einnimmt, muss auch eine entsprechende Ernsthaftigkeit des Anliegens einhergehen.
Der Vortrag des Antragstellers ist nicht geeignet, abweichend vom objektiven Erscheinungsbild der Veranstaltung eine solche Wertigkeit zu begründen.
Es ist mit dem hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit unvereinbar, die Frage der grundrechtlichen Einstufung einer Veranstaltung allein den Formulierungs- und Präsentationskünsten des Veranstalters zu überlassen. Der unbestimmte Rechtsbegriff "Versammlung" muss daher nach objektiven Kriterien bestimmt werden und in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar sein. Keinesfalls darf er der Dispositionsfreiheit eines Betroffenen unterfallen, sollen nicht die o.g. Aufweichungs- und Entwertungswirkungen eintreten.
Die vom Antragsteller ausgewiesenen Themen sind nichtssagend und selbst bei oberflächlicher Betrachtung zu global, um überhaupt als Meinung gelten oder eine solche ankündigen zu können. Hierbei verkennt der Antragsgegner nicht, dass ihm grundsätzlich eine inhaltliche Bewertung nicht zusteht. Dies gilt aber nur dann, wenn überhaupt eine hinreichend substantiierte Meinung angekündigt ist.
Die hierzu vom Antragsteller dargelegten Erläuterungen weisen keine hinreichend nachvollziehbaren Bezüge zu den gewählten Themen auf. Sie stellen insbesondere keine individuelle Beziehung zu der konkreten Veranstaltung her. Derartige Begründungen sind beliebig und passen auf nahezu alle Veranstaltungen vom Maskenball über Radrennen bis hin zu Lampoinumzügen. Auf die Einzelfälle muss somit nicht näher eingegangen werden.
Pauschale Begründungen wie "Darstellung des Lebensgefühls Techno", "Entmenschlichung der Innenstädte", "Subkulturelle Minderheiten", sind Allgemeinfloskeln, die nicht geeignet sind, eine Veranstaltung in den hohen Rang einer Versammlung zu erheben. In ihrer Beliebigkeit belegen sie die Gefahr im oben dargestellten Sinne, dass es so nahezu ausnahmslos möglich wäre, jedwedes kollektive Unternehmen als Versammlung zu deklarieren.
Es muss folglich dabei verbleiben, dass objektiv keine Versammlung vorliegt. Das prägende Gesicht der Veranstaltung liegt deutlich erkennbar im gemeinsamen Erleben und Feiern einer bestimmten Techno-Richtung. Das Versammlungsrecht darf nicht dazu herhalten, die Durchführung öffentlicher Massenpartys (vgl. das Motto "Keine Party ist illegal") unter zu Hilfenahme floskelhafter Begründungen zwecks Umgehung all der Sondernutzungsvorschriften zu ermöglichen, die für Fälle der vorliegenden Art aus gutem Grund bestehen.
Der Antragsgegner will diese Darlegungen nicht als Wertung der Veranstaltung als solche verstanden wissen. Es geht lediglich darum, im Interesse des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nur die Veranstaltung mit diesem Grundrecht zu identifizieren, die tatsächlich auch in dessen Sinne sind und ein entsprechendes Anliegen verfolgen. So konsequent, wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu beachten und zu schützen ist, so konsequent muss es auch vor Missbrauch und Umgehungen bewahrt werden. Die Fuckparade/ Hateparade ist daher, wie auch die Love Parade, nicht als Versammlung zu behandeln.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Typen- und Gestaltungsfreiheit einer Versammlung kann der Antragsteller deshalb auch nicht für sich heranziehen, da diese Rechtsprechung nur für den Fal gilt, dass überhaupt eine Versammlung vorliegt.
Dem Hilfsantrag fehlt nach Auffassung des Antraggegners bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da nicht ersichtlich ist, wie dieser Antrag überhaupt die rechtliche Stellung des Antragstellers verbessern könnte.
Die sofortige Vollziehbarkeit ist entgegen der Auffassung des Antragstellers hinreichend begründet, da aus dem Bescheid insgesamt ein erforderlicher Individualbezug erkennbar ist.
Im Auftrag
gez. Tölle
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