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Der Polizeipräsident in Berlin
Stab des Polizeipräsidenten
Berlin, den 02.07.2001
Geschäftszeichen St 4 - 03920/1631
In der Verwaltungsstreitsache
Martin Kliehm ./. Land Berlin
VG 1 A 166.01
Oberverwaltungsgericht Berlin, 1. Senat
wird beantragt, die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Juni 2001 - Az. VG 1 A 166.01 -
zuzulassen
und den Antrag vom 22. Mai 2001 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14. Mai 2001
zurückzuweisen.
Begründung:
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gemäß §§ 146 Abs. 4 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel bestehen, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zumindest ebenso schwer wiegen wie die Gründe, die für die Richtigkeit sprechen.
Das Verwaltungsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es für den Charakter einer Versammlung nicht darauf ankommt, dass die Meinungskundgabe in "klassischer Form" erfolgt. Möglich sind auch andere Darbietungsweisen.
Sodann geht es ebenfalls zutreffend davon aus, dass auch unter Berücksichtigung dieser Typenfreiheit das konstituierende Element der Versammlungsfreiheit eben gerade die (kollektive) Meinungsbildung und -kundgabe ist. Für eine darüber hinausgehende Ausweitung des Versammlungsbegriffs besteht kein Bedarf, zumal andere Veranstaltungen auch über Art. 2 Abs. 1 GG eine geschützte Rechtsposition innehalten können.
Dieser Auffassung ist mit Rücksicht auf den hohen Stellenwert des Versammlungsrechts und seine pluralistische Gesellschaft geradezu kennzeichnende Funktion beizutreten. Das Versammlungsgesetz zeigt schon durch die Regelung des § 17, dass eine beliebige Ausweitung der geschützten Veranstaltung schon durch den Gesetzgeber nicht vorgesehen und gewollt war. Insoweit wird auf den Vortrag 1. Instanz Bezug genommen.
Die angefochtene Entscheidung berücksichtigt diese Umstände (wie auch im Fall der Love-Parade, VG 1 A 195.01, Beschluss vom 28. Juni 2001) zwar zunächst dem Grunde nach, kommt dann aber, wenn auch abweichend von der vorzitierten Entscheidung, zu einer fehlerhaften Gewichtung, die mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren ist und sie letztendlich wieder aufhebt, zumindest aber einer beliebigen Umgehung jeden Spielraum öffnet.
Die Versammlungseigenschaft der gesamten Veranstaltung wird maßgeblich darauf gestützt, dass während der Veranstaltung ca. 20.000 Handzettel verteilt werden sollen.
Korrespondiert aber Art. 8 Abs. 1 GG mit Art. 5 Abs. 1 GG, muss zunächst für einen objektiven unbefangenen Dritten eine Meinungskundgabe ohne weiteres erkennbar sein.
Selbst wenn man dies angesichts der verteilten Flyer für gegeben hinnimmt, kann allein darauf eine Versammlungseigenschaft der gesamten Veranstaltung nicht gestützt werden.
Hierfür ist nämlich, wie es die erkennende Kammer in dem Verfahren bezüglich der Love-Parade festgestellt hat, erforderlich, dass diese Meinungskundgabe nicht lediglich ein beiläufiger oder willkürlicher Nebenakt der Veranstaltung ist. Nur im Fall einer solchen objektiv messbaren Gewichtung, die nicht mit einer Inhaltskontrolle zu verwechseln ist, kann der Begriff der Versammlung seinem hohen Rang entsprechend hinreichend konkretisiert und vor Missbrauch geschützt werden. Bei Veranstaltungen der vorliegenden Art wird man also prüfen müssen, ob die Meinungskundgabe tatsächlich wesenprägend ist und ob man bei Wegfall der einen oder anderen Komponente noch von einer identischen Veranstaltung ausgehen kann.
Bezogen auf die Hateparade/ Fuckparade bedeutet dies:
Die Veranstaltung ist ursprünglich aus der Love-Parade hervorgegangen. Ursprünglich wurde also kein Versammlungszweck verfolgt, es kam auf den Konsum von Musik einer bestimmten Richtung an. Die spätere Abspaltung erfolgte, weil sich Bild und Musik der Love-Parade änderten. Auch insoweit ist vom Veranstalter gar keine Meinungskundgabe gewollt gewesen. Die Beschreibung der Veranstaltung im Internet spricht ebenfalls nur von Routen und der Folge der Musik-Fahrzeuge. Insgesamt muss man also davon ausgehen, dass Teilnehmer und Veranstalter primär eine Musikveranstaltung und nicht eine Meinungskundgabe beabsichtigen. Der Antragsgegner geht davon aus, dass kein Besucher der Veranstaltung ernsthaft an einer Meinungskundgabe interessiert ist oder eine solche erwartet, man möchte lediglich eine bestimmte Art der Musik innerhalb des Zuges genießen.
Das Verteilen der Flyer ändert dies nicht. Es handelt sich hierbei um einen völlig untergeordneten Nebenakt, der überhaupt nicht prägend für die Veranstaltung ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem geschriebenen objektiven Erscheinungsbild zum anderen aber auch aus der vergleichsweise geringen Anzahl der Zettel.
Inhaltlich haben die Zettel zwar für sich eine durchaus nachvollziehbare Aussage, zu der Veranstaltung stehen sie aber in keinem zwingenden Zusammenhang. Würde dies genügen, um eine Veranstaltung in den Rang einer Versammlung zu erheben, wäre es möglich, mit derartigen Allgemeinplätzen jede Veranstaltung entsprechend zu qualifizieren. Der Antragsgegner hat bereits in der 1. Instanz vorgetragen, dass auswechselbare Begründungen jedenfalls dann nicht eine Veranstaltung insgesamt zur Versammlung bestimmen können, wenn sie ohne weiteres weggedacht werden könnten, ohne den Sinn und das Erscheinungsbild der Veranstaltung zu verändern.
Dies ist hier der Fall, was von der Kammer nicht erkannt worden ist:
Ein objektiver Betrachter stellt keinerlei Änderungen der Veranstaltungen fest, wenn die 20.000 Flyer nicht verteilt werden würden. Nach wie vor würde die Parade in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild stattfinden: Sternmarsch zum Alexanderplatz, jeweils ausgehend vom Bunker in Mitte, dem Mauerpark in Prenzlauer Berg und dem Heinrichplatz in Kreuzberg. DJs und Livekünstler aus mindestens 17 Nationen sowie etwa 41 Wagen prägen das Bild. Hier ist es selbst bei summarischer Betrachtung klar und nach Auffassung des Antragsgegners auch kaum noch auslegungsfähig, dass klägliche 20.000 Handzettel diese Veranstaltung nicht in den Rang einer Versammlung heben können.
Während die Parade ohne Handzettel vorstellbar ist, ist dies umgekehrt für den Fall der Handzettelverteilung nicht der Fall. Kein Teilnehmer würde sich finden, ginge es lediglich darum, den Inhalt der Zettel kundzutun.
Ginge man mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass ein solches Nebenelement allein die Versammlungseigenschaft der gesamten Veranstaltung begründen könnte, wäre dem Missbrauch solcher Vorgehensweisen Tür und Tor geöffnet. Deshalb muss für sogenannte "Mischveranstaltungen", sollen sie insgesamt Versammlungseigenschaft besitzen, eine objektive Zweckverbindung von Meinungskundgabe und sonstigem Element gegeben sein, die auch in einem angemessenen Wertigkeitsverhältnis zueinander stehen. Nur wenn Meinungskundgabe und sonstige Veranstaltungen in einem derart erkennbaren Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, kann eine uferlose Ausdehnung des Versammlungsbegriffs und ein Missbrauch zur Umgehung sonst einzuhaltender Sondernutzungsvorschriften verhindert werden.
Aus diesen Gründen beruht die angefochtene Entscheidung auf einer erheblichen Fehlgewichtung, so dass ernstliche Zweifel an ihrer Richtigkeit bestehen.
Die Rechtssache hat darüber hinaus auch die grundsätzliche Bedeutung gemäß §§ 146 Abs. 4 i.V.m. 126 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Zwar ist die Klärung einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig dem Hauptverfahren vorbehalten, da ein einstweiliges Verfahren wegen der Vorläufigkeit seines Regelungsumfanges hierzu kaum geeignet ist. Dies muss aber mit der Einschränkung versehen werden, dass auch eine Hauptsacheerklärung folgt. Im Versammlungsrecht ist es aber nahezu schon die Regel, dass Hauptsacheverfahren wegen Zeitablauf kaum angestrebt werden. In Fällen der vorliegenden Art bedeutet dies, dass regelmäßig keine Hauptsacheentscheidung herbeigeführt werden kann, wenn der eine Veranstaltung anmeldende Antragsteller bereits im einstweiligen Verfahren obsiegt, ohne dass zentrale Fragen zur Versammlungseigenschaft gerichtlich geklärt werden. Er kann durch sein Anmelde- und Rechtsbehelfsverhalten jeweils eine solche zeitliche Nähe zum Ereignis schaffen, dass regelmäßig unter Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit, die im Zweifel vorgehen wird, zugunsten seiner Veranstaltung entschieden wird. Deshalb ist vorliegend ausnahmsweise eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gegeben.
Im Auftrag
gez. Tölle
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